Mittwoch, 22. Juni 2016

[Rezension] Gabriel Rolón: Auf der Couch – Wahre Geschichten aus der Psychotherapie


Historias de Diván
ISBN: 978-3-442-74860-0
Verlag: btb
Seiten: 252
Preis: [TB] 8,99€


Inhalt:
Gabriel Rolón ist der beliebteste argentinische Psychoanalytiker. Er ist vor allem durch Radio- und Fernsehauftritte bekannt geworden. In diesem Buch hat er acht Fälle aus seiner Praxis festgehalten, die wirklich geschehen sind – mit Erlaubnis der Patienten natürlich. Darunter ist ein homosexueller Geistlicher, ein Mann der die sexuelle Liebe zu seiner Mutter auf seine Freundin projiziert, ein Ehemann der glaubt, als Mutter seiner Kinder könnte seine Ehefrau keine sexuell aktive Frau mehr sein, eine Frau, deren Familie einen Schweigepakt eingegangen ist und weitere interessante tiefenpsychologisch lösbare Fälle...


"Ja. Aber für Sie war das kein bloßes Kinderspiel. Es war eine traumatische, aber mit Lust besetzte kindliche sexuelle Erfahrung. Und solche Erfahrungen hinterlassen für gewöhnlich tiefgehende Schuldgefühle, die uns das ganze Leben hindurch begleiten und unseren Handlungen insgeheim ihren Stempel aufdrücken. Auch wenn wir es nicht wahrhaben wollen, Antonio, die Sexualität ist von Geburt an unsere Begleiterin. Ja, gerade im scheinbar unschuldigen Kindesalter drängt sie sich am stärksten auf und belastet uns am meisten. Denn wir sind zu diesem Zeitpunkt seelisch noch überhaupt nicht darauf vorbereitet, mit der damit verbundenen heftigen Erregung zurechtzukommen. Das kommt erst im Erwachsenenalter. Trotzdem fangen wir schon sehr früh an, durch Spiele, wie das, das Sie und Roberto damals gespielt haben, unsere Sexualität zu entwickeln."
S. 249


Meine Meinung:
Sigmund Freud und seine Psychoanalyse interessieren mich schon seit einer Weile. Ich bin relativ überzeugt davon, dass die Ursachen vieler Dinge/Probleme im Leben bzw. in unserem Charakter in der Kindheit liegen, denn schließlich ist das ziemlich logisch. Durch Rolóns Ausführungen hat sich mein Verständnis sehr erweitert – zum Beispiel geht es eben nicht nur darum, Kindheitserlebnisse zu interpretieren, sondern auch freie Assoziationen oder sogar "versehentliche" Versprecher, die wir dem Unterbewusstsein zu verdanken haben. Oder die Tatsache, dass nicht nur zählt, was der Patient sagt, sondern auch wie.

Auch gefallen hat mir, dass der Autor nicht nur das wichtigste der Dialoge berichtet hat, sondern auch alle Erklärungen, die er dem Patienten gegeben hat. Zum Beispiel hat er den Ödipus-Komplex kurz und super verständlich erklärt. Oder Dinge wie Sexualität bei Kindern oder den Mechanismus des Verdrängens. Das war mehr als ich erwartet habe und überraschend informativ. Alles war verständlich und ich habe ohne große Schwierigkeiten eine Menge dazugelernt.

Was die Fälle angeht muss ich sagen, dass die ersten paar recht "langweilig" waren. Beziehungsweise, was ich meine, ist, dass sie interessant waren und auch interessant war die Herangehensweise des Analytikers zu sehen, aber andererseits waren die Fälle nicht besonders spektakulär. Allerdings könnte das Absicht gewesen sein, denn mit jedem Fall ist die Sache interessanter geworden, bis hin zu einem Fall bei dem die Patientin gestorben ist oder dem letzten Fall, mit einem Priester, der fast schon wie eine Profiler-/Detektiv-Story klang.
Denn irgendwie scheint ein Psychoanalytiker so eine Art Detektiv sein zu müssen – er bekommt Geschichten zu hören, die teilweise nicht alles Wahre verraten, und muss es dann interpretieren können und die Wahrheit aus dem Patienten herausbekommen, um ihm helfen zu können.

Das Beste und Interessanteste am ganzen Buch aber fand ich, dass es, wenn auch in abgeänderter Art, viele kleine Parallelen zu meinem eigenen Leben gab. Ich glaube, jeder Leser findet das eine oder andere Detail, das auch auf ihn selbst zutrifft. Rolón gibt dann gleich Interpretationsansätze, sodass man als Leser direkt unbeabsichtigt anfängt, sich selbst zu analysieren...

Fazit:
Sehr interessante, unterhaltsame neue Einblicke in die Arbeit eines "modernen" Psychoanalytikers. Es regt viel zum Nachdenken über das eigene Leben an und ist sehr informativ. Ohne dass man sich den Kopf über etwas zerbrechen muss versteht man alles, sei es philosophischer oder psychoanalytischer Natur, und lernt einiges dazu. Die Fälle waren relativ kurz gehalten, aber gleichzeitig nicht zu kurz, sondern hatten genau die richtige Länge, um jeden Tag einen Fall zu lesen.
Ich wurde wunderbar von diesem Buch unterhalten und empfehle es allen, die ein wenig an Psychoanalyse und Psychotherapie interessiert sind, ohne zu tief in die Materie eintauchen zu wollen.




Vielen Dank an den btb-Verlag und das Bloggerportal für dieses Rezensionsexemplar!

   

1 Kommentar:

  1. Hallo! :)

    Das Buch klingt aber mal wirklich interessant!
    Ich persönlich stehe Fachbüchern immer etwas kritisch gegenüber, da meistens auch Fachleute in ihrem Themengebiet über ein abgegrenztes Thema schreiben und dies dann sehr fachmännisch erläutern. Gerade wenn man dann als "Unwissender" ein wenig in diese Materie hineinschnuppern will ist dass dann ärgerlich wenn man total verwirrt wird. Deshalb freue ich mich immer wenn ich ein interessantes Sachbuch finde das auch für Anfänger gut geeingnet ist. :)

    Tolle Rezension!! :D

    Alles Liebe,
    Jasi ♥

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